Wir haben uns versammelt – gefühlt alle Frauen* der Schweiz, auf der Strasse, auf Gipfeln, in Hörsälen, um’s Feuer, in Gemeinschaften oder in der Stille. Am 14. Juni 2019 wurde Solidarität unter Frauen in seiner ganzen Fülle sicht- und spürbar. Jede Frau zeigte sich mit ihrem persönlichen Thema – was uns aber alle verbindet ist ein Wort: Respekt.
Ein grosses Wort, das vieles oder eben alles umfasst. Unsere urtiefe Sehnsucht nach Gerechtigkeit, Toleranz, Gleichwürdigkeit, Liebe. Ja, bestimmt auch die tiefste Sehnsucht der Männer. Und natürlich die jedes anderen Lebewesens. In den vielen Gesprächen, welche ich vor, nach und während dem Frauenstreik geführt habe, ist mir klar geworden, dass es für uns Frauen eigentlich nur zwei Möglichkeiten gibt. Aufstieg im Patriarchat oder Ausstieg aus dem Patriarchat. Es ist nämlich ein Irrtum zu denken, dass wenn mehr Frauen Führungspositionen besetzten, sich die kapitalistisch orientierte Kultur verändert. Denn wir Frauen wurden vom Patriarchat konditioniert, uns anzupassen!
Es geht nun darum, dass weibliche Prinzip (welches auch in den Männer vorhanden ist) in seiner ganzen Grösse entfalten zu lassen. Es hat das Wohl aller im Blick, einschliesslich der Natur. Wenn es uns wirklich ernst ist, unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen, ist es unumgänglich, das Patriarchat und die damit verbundene Hierarchie (zuoberst Mann, dann Frau und Kinder zuunterst die Tiere und andere Lebewesen) zu verabschieden. Und uns stattdessen der Schöpfung mit allen Wesen unterzuordnen. Dazu gibt es für mich drei Gedanken:
1. Respekt vor der Schöpfung bedeutet, dass wir zuerst die Schöpfung und die damit verbundene Demut zur Erde und Natur wirklich spüren. Wer seinen eigenen Körper, seine Gefühle, seine Seele, sein Wesen wirklich ernst nimmt, fühlt sich eins mit allem was die Erde uns schenkt und anerkennt diese Schöpferkraft. Für diese zu dienen, schenkt uns Klarheit und Sinnhaftigkeit. Wenn wir uns mehr Respekt auf dieser Erde wünschen, dann ist es unumgänglich, dass wir diesen in unserer nächsten Umgebung pflegen und ihn unseren Kindern vorleben, indem wir unseren Körper und die Natur ehren und schützen. Jedes Gras, jeder Wurm ist ein Wunder! Und unser Körper ist das Schöpfungswunder, welches wir bewohnen dürfen!
2. Respekt gegenüber der Weiblichkeit
Ich bin überzeugt, dass „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in naher Zukunft selbstverständlich ist. Da geht uns um Gleichberechtigung. Bin ich voll dabei. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich als Frau, egal ob ich Kinder geboren habe oder (noch) nicht, anders mit meiner Energie haushalten muss, als wenn ich in einem männlichen Körper geboren worden wäre. Wir Frauen haben einen mehr oder weniger anstrengenden Hormonhaushalt, dem Sorge zu tragen ist – in der Geschäftswelt jedoch nicht existieren darf. Weder die Menstruationstage noch die Wechseljahre dürfen im Beruf ein Thema sein. Ich habe am eigenen Leib beobachtet und bin immer wieder von neuem berührt was es bedeutet ein Kind auszutragen. Hey, da bleibt nach der Geburt nicht nur ein Schwablibauch zurück, sondern je nach dem wie die Mutter für sich (vor)gesorgt hat auch ein grosses Energieloch! Doch nach der Geburt ist Stillen angesagt; was zuerst für zwei grosse saftige Melonen sorgt, wo anschliessend zwei ausgewringte Lümpli zurück bleiben und ein noch grösseres Energiedefizit in Form von Schlaf- und Vitaminmangel! Ein Kind auszutragen und aufzuziehen ist ein Hundertprozentjob! Oft 20 Stunden am Tag, 365 Tage die Woche. Und wenn du Teenager hast, dann weißt du, dass dies, bis sie ausziehen, so bleibt. Es ändert sich nur der Tagesrhythmus, die Intension der Aufgabe als Mutter bleibt gleich anstrengend. Ja, stimmt, das ist eine wunderschöne Aufgabe, aber sie zehrt an der Energie von uns Mütter! Es gilt dieses Naturgesetz respektvoll anzunehmen.
3. Respekt gegenüber meinen persönlichen Grenzen
Anderen wirklich respektvoll begegnen kann ich nur, wenn ich meine eigenen Grenzen respektiere. Wie oft überfordern wir unseren Energiehaushalt, weil wir nicht nein sagen können, weil wir sehen, dass es den anderen noch schlechter geht als uns oder weil uns das Miteinander wichtig ist. Wie oft gehen wir über unsere Grenzen, weil wir dem Gegenüber gefallen möchten. Ich liebe es, mein Feuer zu spüren, habe meistens unermüdliche Kraft und Freude, sei es für meine Familie, meine vielen Ideen und für meine Arbeit. Gerade im Sommer – da gibt es soviel zu entdecken, tolle Einladungen, Workshops, Freunde die ich endlich wieder einmal sehen möchte… Und gleichzeitig ist da auch ein grosses Bedürfnis nach Ruhe und Erholung – ich merke häufig erst, wenn ich krank werde, dass ich meine Batterien dringend laden muss. Mir sagt mein Körper, wenn eine Auszeit angesagt ist. Ich danke ihm für seine Nachricht und gönne ihm und meiner Seele eine Pause.
In diesen Pausen erkenne ich jedes Mal erneut, dass es gar nicht die eigentliche Arbeit ist, die mich erschöpft. Eine Bergwanderung, Gartenarbeit oder Fensterputzen machen zwar müde, erschöpfen uns aber nicht. Es sind die zwischenmenschlichen Belastungen, die uns nachhaltig Energie rauben. Körperliche Erschöpfung kann unser Körper schnell regenerieren. Emotionaler Ballast wird nur langsam abgebaut und auch nur, wenn dieser uns bewusst ist und wir ihn mutig los lassen. Frauen sind fühlende, sensible Wesen – dies braucht Energie. Wir müssen uns im Klaren sein, wo wir mitfühlen wollen/sollen und wo nicht. Und ebenso klar sein, was wir brauchen und was nicht und dies klar mitteilen. Und dann auch akzeptieren, dass dies den anderen nicht in den Kram passt.
Nun, wie ehren und pflegen wir das weibliche Prinzip? Wie erhalten und schenken wir mehr Respekt und Wertschätzung den Frauen und Mütter? Zum Beispiel in dem wir
- unsere Körpersignale ernst nehmen und deren Nachricht lauschen. Was teilen sie mir mit?
- unsere Gefühlswelt wertschätzen, auch wenn sie manchmal etwas anstrengend ist. Öffne dich dir selbst und zeig dich mit deinen Gefühlen! Nimm die Gefühle der Kinder ernst! Versuche sie nicht weg zu machen, in dem du das Kind ablenkst, sondern benenne seine Gefühle.
- unsere Aufgaben als Frau/als Mutter/unsere Berufung für voll nehmen, auch wenn diese vielleicht nicht oder schlecht bezahlt sind. Was ist meine Lebensaufgabe? Wie viel Schweiss gehört dazu?
- unseren Kindern vorleben, was Respekt ist. Ihnen zeigen, wie du selber die Schöpfung, das Frau-Sein ehrst.
- unsere Kinder so oft sie es zulassen an der Hand nehmen, sie möglichst lange stillen, tragen, massieren, umarmen, auf den Schoss nehmen, mit ihnen raufen, knuddeln, kuscheln, damit sie ihren eigenen Körper als kostbar erleben und ihn schützen und ehren lernen. Auch weil wir ein Nein des Kindes respektieren.
- Uns mehr Raum gönnen. Gesunder Egoismus täte uns Mütter ganz gut!
Nun wünsche ich Dir noch viele genüssliche Sommertage. Tu nur was Dir gut tut und was Dir wirklich wichtig ist! Im Bewusstsein, dass Du dann auch eine Freude für Deine Umgebung bist!
In Liebe von Schwester zu Schwester, Michèle Maruna